Brief aus der Zeit des ersten Weltkriegs

Wie war das Leben damals? Einblick in diese Zeit können uns kaum mehr Zeitzeuginnen gewähren, aber der Nachlass von anderen. So liest Magdalena Strommer den Brief ihrer Mutter an die Eltern vor, mit der Bitte, doch beim Gesuch zu helfen, das den Gatten nach Zangthal versetzen lassen soll.

Wenn wir heute diese Worte hören, erscheint es uns seltsam, wie förmlich Kinder und Eltern miteinander umgegangen sind, und wie sehr auch das Hochdeutsche im ländlichen Bereich seinen Platz hatte. Aber auch die Armut wird spürbar, wenn die Verfasserin um einen Kilo Mehl bittet…

Der Brief zum Nachlesen:

Liebe Eltern!
Ich grüße Euch vielmals und bitte Euch zugleich, wenn es nicht möglich wäre, für meinen lieben, guten Gatten ein Gesuch machen könnten, dass er doch einmal von Graz nach Voitsberg überstellt wollte, am liebsten nach Zangthal, wenn es vielleicht doch gehen könnte. Der Simon verzweifelt sonst drinnen, weil [er] bereits alle Wochen zur Musterung gehen muss. Der liebe Gott wird uns doch noch helfen, dass er nicht ins Feld gehen braucht. Der Simon sagte, ob wir schon vergessen haben auf ihn, weil gerade er müsste in der größten Gefahr sein muss, oder wo wir ihn gar aus der Verwandtschaft ausschließen wollten, weil wir noch kein Gesuch gemacht haben. Am liebsten wäre es mir, wenn Sie morgen in der Früh könnten herauf kommen und ein Gesuch machen, und dann möchte ich auch von mir ein ärztliches Zeugnis beilegen, indem ich schon sehr kränklich bin und nicht mehr im Stande bin, die Wirtschaft alleinig weiter zu führen.

Liebe Eltern! Sie werden doch nicht böse sein auf mich, dass ich wieder in andere Umstände gekommen bin, ich kann ja nicht dafür, wenn ich über dies dem Simon zusammenschimpfen wollte, dann könnte er noch früher verzweifeln, mir ist es noch lieber, wenn er doch wieder glücklich zurückkommen [könnte] und [wir] das Kreuz miteinander tragen könnten, wenn es der liebe Gott so schickt. Lieber will ich dieses Kreuz tragen, als wenn es mir so gehen könnte als der Frau Rumpf, da ich gehört habe, dass er schon vorige Woche begraben worden ist: Ich müsste wohl auf der Stelle verzweifeln!

Möchte Sie nochmals Tausendmal bitten, wenn Sie Tinte und Feder mitnehmen, Papier habe ich schon selbst und wenn Sie auch gleich nach Voitsberg mitgehen, dass das Gesuch von der Bezhschft. (= Bezirkshauptmannschaft). gleich fortgeschickt wird, ich werde Ihnen soviel als möglich immer dankbar sein.

Ich habe heute ein Kuh angeschaut, mir gefällt sie, sie soll 6 l melken und ist noch jung und schön, wenn Sie Zeit haben, möchten Sie es auch mitgehen anschauen, sie ist beim Arnstein Schabl, zum anschauen wäre auch nicht zu teuer. Möchte am Freitag in der Früh nach Graz fahren, möchte den Simon wohl trösten, wenn ich hinein kommen kann und könnte dann auch die Kuh kaufen drinnen, weil der Verkäufer der Kuh drinnen ist bei ihm! Möchte Sie aber auch bitten, wenn Sie mir nicht könnten ein paar Kilo Mehl leihen, weil ich möchte dem Simon ein Brot mit hinein nehmen, ich habe jetzt keines mehr. Kein Bauweitzmehl und auch kein Türkenmehl, weiß fast nicht, was ich kochen soll.

Ich bitte Euch Tausendmal liebe Eltern! Vielleicht kann ich doch einmal alles abzahlen.

Viele herzliche Grüße von Eurer dankschuldigen Tochter

Magdalena Zwanzger

Auch viele Grüße von den kleinen Kindern

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